Hier halten wir Sie in Form eines Blogs über aktuelle Urteile und Entwicklungen in Hinblick auf unsere verschiedenen Fachbereiche auf dem Laufenden. Schwerpunktmäßig kommentieren wir Neuerungen im Arbeitsrecht sowie im Sozialrecht.
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte darüber zu entscheiden, ob es ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auch dann gibt, wenn der Arbeitgeber nicht eine echte Videokamera, sondern lediglich eine Kameraattrappe an einem Gebäudezugang anbringt. Die Entscheidung erging am 12.05.2014 unter dem Aktenzeichen 3 TaBV 5/14 in einem sogenannten Einigungsstellenbesetzungsverfahren nach § 99 Arbeitsgerichtsgesetz.
Verkürzt ausgedrückt brachte das LAG Mecklenburg-Vorpommern die Begründung auf den Nenner "Keine Mitbestimmung dort, wo objektiv das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer nicht überwacht wird". Weiter - so das LAG - sei durch eine Kameraattrappe auch nicht der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Arbeitnehmern zu erwarten.
Die Entscheidung ist für uns Grund, nochmal einige Fälle aufzuführen, in denen nach bisheriger Rechtsprechung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei technischen Überwachungseinrichtungen gegeben ist (Liste ist nicht abschließend):
Handelt es sich um mitbestimmungspflichtige Sachverhalte, so muss der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Sinnvollerweise schließen Arbeitgeber und Betriebsrat sogenannte Betriebsvereinbarungen zu diesen Sachverhalten ab. Der Betriebsrat kann sein Mitbestimmungsrecht gerichtlich durchsetzen und erforderlichenfalls dem Arbeitgeber die beabsichtigte Maßnahme untersagen lassen.
In einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 13.01.2014 – 8 AZR 817/13 – einer Minijobberin einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber wegen eines erlittenen Steuerschadens verweigert.
Die Klägerin hatte gegen Zahlung von 400,00 € monatlich im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung für einen gemeinnützigen Verein zur Förderung geistig behinderter Menschen gearbeitet. Auf Verlangen ihres Arbeitgebers hat sie diesem die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2010 vorgelegt, auf der die Steuerklasse III ausgestellt war.
Der Arbeitgeber versteuerte sodann den von der Klägerin bezogenen Lohn nach der Lohnsteuerklasse III und übermittelte die Lohnsteuerbescheinigung an das Finanzamt.
Hätte der Arbeitgeber statt der Versteuerung nach der Steuerklasse III die ebenfalls mögliche Pauschalsteuer von lediglich 2% gewählt, hätten die Klägerin und ihr Ehegatte im Zuge der steuerlichen Zusammenveranlagung für das Jahr 2010 insgesamt 1.327,95 € weniger Einkommenssteuer zahlen müssen.
Genau diesen Betrag, abzüglich der im Rahmen der Pauschalversteuerung fälligen Einkommenssteuer von lediglich 64,00 € machte die Klägerin als Schadensersatz bei ihrem Arbeitgeber geltend. Sie war der Auffassung, dass der Arbeitgeber eine Hinweispflicht gehabt habe, dass er nach Lohnsteuerkarte abrechne und dies aufgrund der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung mit dem Ehegatten im Vergleich zur Pauschalsteuer zu einem erheblichen steuerlichen Nachteil führen könne. Der Arbeitgeber habe deswegen die Verpflichtung gehabt, das Wahlrecht zwischen den beiden Abrechnungsvarianten zugunsten der Klägerin ausüben müssen und aus diesem Grund den Lohn der Kläger pauschal versteuern müsse.
Alle drei Instanzen verneinten jedoch einen solchen Schadensersatzanspruch der Klägerin. Das Bundesarbeitsgericht führt in seinen schriftlichen Entscheidungsgründen zunächst aus, dass Schuldner der Lohnsteuer zunächst der Arbeitnehmer sei. Der Arbeitgeber haftet zwar für die Lohnsteuer, diese einzubehalten und abzuführen habe. Soweit diese Haftung erreiche, seien Arbeitgeber und Arbeitnehmer sogenannte Gesamtschuldner. Der Arbeitgeber erfülle jedoch eine fremde Schuld für den Arbeitnehmer. Im Verhältnis zwischen beiden sei allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung.
Eine Ausnahme davon gelte jedoch für die pauschale Versteuerung bei geringfügiger Beschäftigung (Minijob). Das setzt allerdings voraus, dass diese pauschale Besteuerung überhaupt erst gewählt wird. Der Arbeitgeber hat insoweit ein Wahlrecht zwischen beiden Besteuerungsformen. Es gäbe insoweit keine Aufklärungs- oder Hinweispflicht des Arbeitgebers. Ebenso wenig verletzte der Arbeitgeber Schutz- und Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Arbeitnehmer, wenn er gerade nicht die Pauschalbesteuerung, sondern die Regelbesteuerungsart mittels Lohnsteuerkarte anwende. Ein Arbeitnehmer, der besonderen Wert darauf lege, dass die Sonderbesteuerungsart (gemeint ist die pauschale Besteuerung mit 2%) zu Grunde gelegt werde, habe die Möglichkeit von sich aus nachzufragen und gegebenenfalls eine entsprechende Vereinbarung gegenüber dem Arbeitgeber vorzuschlagen.
Das Bundesarbeitsgericht betont am Ende der Entscheidung, dass im zu entscheidenden Fall hinzugekommen sei, dass der Arbeitgeber die Klägerin zur Vorlage der Lohnsteuerkarte aufgefordert habe und die Klägerin aus diesem Grund hätte erkennen müssen, dass diese auch zum Einsatz kommen solle.
Die Entscheidung verdeutlicht, welch großes finanzielles Risiko besteht, wenn zu Beginn des Arbeitsverhältnisses gerade nicht hinreichend zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geklärt ist, auf welche Art die Besteuerung erfolgen solle. Die meisten Minijobber werden wohl davon ausgehen, dass es selbstverständlich ist, dass der Arbeitgeber von der pauschalen Besteuerungsmöglich Gebrauch macht. Denn der andere Fall der Besteuerung mittels Lohnsteuerkarte dürfte geradezu atypisch sein, da die Pauschalbesteuerung wohl für den Arbeitnehmer in jedem Falle günstiger ist.
Überraschend dürfte für die meisten Arbeitsvertragsparteien wohl auch sein, dass die gesetzliche Regelung beide Besteuerungsarten ohne Einschränkungen als gleichwertige Alternativen zur Verfügung stellt und dem Arbeitgeber die Wahl des Verfahrens überlässt.
Vor diesem Hintergrund dürfte es allerdings zu weit gehen, wenn das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidungsbegründung die Pauschalbesteuerung als „Sonderbesteuerungsart“ bezeichnet. Im Rahmen der Auslegung des Arbeitsvertrages eines geringfügig Beschäftigten wird der „Normalfall“ wohl die Pauschalbesteuerung und das Verfahren mittels Lohnsteuerkarte die Ausnahme sein.
Wehrt sich ein Betriebsratsmitglied im Arbeitsgerichtsprozess gegen eine Abmahnung, war bisher nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) das Urteilsverfahren die richtige Klageart.
Nach dem BAG Urteil vom 04.12.2013 kann ein Betriebsratsmitglied nun im Beschlussverfahren vorgehen, wenn er nur behauptet, die Abmahnung benachteilige ihn, weil er Betriebsratsmitglied sei. Dann wird in diesem Prozess die Abmahnung insgesamt - nicht etwa nur im Hinblick auf das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot - geprüft.
Im kollektivrechtlichen Beschlussverfahren muss der Arbeitgeber die Anwaltskosten des Betriebsratsmitgliedes nach § 40 BetrVG tragen, während im bisher allein maßgeblichen Urteilsverfahren jede Partei ihre Kosten in der ersten Instanz selbst trägt.
Die Entscheidung schränkt naturgemäß die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers erheblich ein und erweitert die Abwehrmöglichkeiten des Betriebsrates und seiner Mitglieder.
Im Arbeitsrecht gilt seit jeher die Besonderheit, dass nicht nur eine erwiesene Straftat, sondern schon der bloße Verdacht (auch einer schweren Arbeitsvertragsverletzung, nicht nur einer Straftat) eine Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer rechtfertigt, wenn allein der Verdacht das Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien unzumutbar belastet.
Immerhin hat die Rechtsprechung hierzu erhebliche Einschränkungen gemacht. So muss bei der Betriebsratsanhörung kenntlich gemacht werden, dass es sich um eine Verdachtskündigung, nicht um eine „Tatkündigung“ handelt, und dem Arbeitnehmer muss vor der Kündigung in einer „Anhörung“ Gelegenheit gegeben werden, die Verdachtsmomente zu widerlegen.
Eine weitere wichtige Einschränkung bringt jetzt ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 30.03.2012. Danach muss in der Einladung zu der Anhörung bereits angegeben werden, dass es sich um eine Vorbereitungsmaßnahme zu einer Kündigung handelt, und der Themenkreis der Anhörung muss benannt werden, damit der Arbeitnehmer sich auf das Gespräch vorbereiten und ggf. einen Anwalt hinzuziehen kann.
Die häufige Praxis von Arbeitgebern, unter Ausnutzung eines „Überraschungsmomentes“, Anhörung und Vorschlag eines Aufhebungsvertrages zur Vermeidung einer fristlosen Kündigung zu verbinden, wird hierdurch eingeschränkt.
Zweifelhaft ist ohnehin, ob der Arbeitnehmer bei der Anhörung zur wahrheitsgemäßen Angabe von vergangenen Abläufen verpflichtet ist oder, jedenfalls soweit es um einen Straftatbestand geht, entsprechend den strafprozessualen Regeln die Aussage verweigern kann. Die schriftliche Dokumentation von Aussagen des Betroffenen, insbesondere wenn er über sein Aussageverweigerungsrecht nicht belehrt wurde, ist ohnehin durch § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG begrenzt.
Die Bundesrechtsanwaltskammer schreibt bei Befragungen durch einen Unternehmensanwalt zudem vor, dass der Mitarbeiter darüber belehrt werden muss, dass Aufzeichnungen der Befragung ggf. an Behörden weitergegeben werden und dort zu seinem Nachteil verwertet werden können und dass der Mitarbeiter zu keinem Zeitpunkt anlässlich der Befragung mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bedroht werden kann, um eine Aussage zu erzwingen, und dass die Freiheit der Willensentschließung nicht beeinträchtigt werden darf.
Das Bundesarbeitsgericht hat am 20.02.2014 erstmalig festgestellt, dass auch Änderungskündigungen im Rahme von Massenentlassungen der Agentur für Arbeit angezeigt werden müssen.
Bei einer Änderungskündigung verbindet der Arbeitgeber die einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Angebot zur Weiterarbeit zu geänderten (regelmäßig ungünstigeren) Arbeitsbedingungen. Der betroffene Mitarbeiter kann das Angebot ablehnen oder unter Vorbehalt annehmen und sollte in beiden Fällen innerhalb von drei Wochen Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Beendigungs- bzw. Änderungskündigung erheben.
Bei Massenentlassungen (in Kleinbetrieben bereits bei der Kündigung von mehr als fünf Arbeitnehmern innerhalb von 30 Tagen) muss der Arbeitgeber zusätzlich die geplanten Kündigungen der Agentur für Arbeit in einem stark formalisierten und für den Arbeitgeber in erheblichem Umfang fehleranfälligen Verfahren, ggf. unter Beteiligung des Betriebsrates, mitteilen.
Erneut hat das Bundesarbeitsgericht hierbei die weiteren strengen Anforderungen an eine betriebsbedingte Kündigung dargestellt. Die Behauptung eines "Auftragsrückgangs" und "Rückgang des Arbeitsanfalls" reicht ebensowenig aus wie die Behauptung des "Wegfalls einer Stelle". Notwendig ist vielmehr die genaue Darlegung der tatsächlichen Arbeitsabläufe, des für sie benötigten Zeitaufwandes und ihrer Beeinflussung durch den Auftragsrückgang. Bei Verlagerung von Aufgaben auf andere Arbeitnehmer muss der Arbeitgeber zudem darstellen, inwieweit die anderen Arbeitnehmer innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit in der Lage sind, diese zusätzlichen Arbeiten zu erledigen.
An diesen strengen Anforderungen scheitern die meisten betriebsbedingten Kündigungen vor dem Arbeitsgericht.
Immer wieder kommt es vor, dass Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband austreten oder hiermit drohen. Hier stellen sich Arbeitnehmer und Betriebsräte regelmäßig die Frage, ob die bisherigen tariflichen Regelungen weiter gelten.
Tarifverträge können auf ein Arbeitsverhältnis aus unterschiedlichen Gründen Anwendung finden. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass in dem Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag verwiesen wird. Auch ohne Verweisung findet ein Tarifvertrag Anwendung, wenn beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden sind. Tarifbindung des Arbeitgebers besteht bei Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband, und Tarifbindung des Arbeitnehmers wenn dieser Gewerkschaftsmitglied ist.
Mit dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband endet nach § 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) die Tarifbindung des Arbeitgebers. Man könnte also annehmen, dass die bestehenden Tarifverträge nicht mehr anzuwenden seien, der Arbeitgeber sich durch den Austritt also missliebiger Tarifverträge entledigen kann. Um dies zu vermeiden sieht § 3 Abs. 3 TVG vor, dass die Tarifgebundenheit solange bestehen bleibt, bis der Tarifvertrag - beispielsweise durch Zeitablauf oder Kündigung - endet. Solange der alte Tarifvertrag also bestehen bleibt, sind seine Regelungen für diesen sog. Nachbindungszeitraum weiter anzuwenden.
Selbst wenn der Tarifvertrag dann gekündigt wird oder durch Zeitablauf endet, gelten seine Regelungen nach § 4 Abs. 5 TVG weiter fort, bis er durch eine andere Abmachung ersetzt wird. Andere Abmachungen können etwa geänderte oder neu abgeschlossene Arbeitsverträge oder abweichende Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sein. Für nach dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband eintretende Mitarbeiter gelten die Regelungen des Tarifvertrages daher nicht auf Grund beiderseitiger Tarifbindung.
Unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers und Arbeitnehmers, also auch von einem Austritt aus dem Arbeitgeberverband, können Tarifverträge Anwendung finden, wenn im Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers eine sog. Verweisungsklausel auf einen Tarifvertrag enthalten ist, also auf einen bestimmten oder den jeweils geltenden Tarifvertrag verwiesen wird
Bei einer statischen Verweisungsklausel auf einen bestimmten Tarifvertrag, ist genau dieser Tarifvertrag, unabhängig von seiner Ablösung durch einen anderen Tarifvertrag oder dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband, anwendbar. Bei sog. dynamischen Verweisungsklauseln gilt der Tarifvertrag in seiner jeweils geltenden Fassung, auch wenn der Arbeitgeber aus dem Tarifvertrag austritt. Anders dies nur bei dynamischen Verweisungsklauseln in Verträgen, die vor dem 31.12.2001 abgeschlossen wurden. Aus Vertrauensschutzgesichtspunkten hat das Bundesarbeitsgericht eine später vorgenommene Rechtsprechungsänderung, nur für nach dem 31.12.2001 abgeschlossene Verträge für anwendbar erklärt. Bei dynamischen Verweisungsklauseln in solchen sog. Altverträgen sei davon auszugehen, dass es sich um eine sog. Gleichstellungsklausel handelt, mit der der Arbeitgeber Gewerkschaftsmitglieder und Nichtgewerkschaftsmitglieder in seiner Belegschaft gleichstellen wollte. Tarifgebundene Arbeitnehmer sollten also nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als tarifgebundene, meist um ein einheitliches Lohngefüge zu wahren. Daher sind in diesem Fall auch solche Arbeitnehmer, die nicht kraft Mitgliedschaft tarifgebunden sind, bei Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers so zu behandeln wie Gewerkschaftsmitglieder. Der Tarifvertrag auf den im Arbeitsvertrag verwiesen wurde, gilt dann statisch, also in der Fassung zum Zeitpunkt des Austritts des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband, weiter.